The Dark Side of the Ultras
- Christine Eder
- 15. März
- 5 Min. Lesezeit
Motivation - eine ständige Diskussion von Herz, Hirn und Körper

Man sollte zwar, man müsste, man könnte auch (trainieren), aber immer wieder kommen diese leisen Gedanken, das kleine Teufelchen auf der Schulter, das nach Ausreden sucht. Der Körper braucht Regeneration, der Haushalt wär dringend nötig und und und. Wer kennt sie nicht, diese Momente an denen man einfach nicht in die Gänge kommt? Einmal spielt das Wetter nicht mit, zu nass, zu kalt, zu heiß oder man findet tausend andere Gründe um zu Hause zu bleiben - aber Trainingsplan bleibt Trainingsplan. Und das Training auf einen Ultramarathon ist oft lange und hart. Nein, es ist nicht immer lustig. Man mag nicht immer laufen, man mag nicht immer trainieren – manchmal möchte man einfach nichts tun oder einfach etwas anderes, was nicht mit Training und Leistung zu tun hat. Und ganz ehrlich gesagt, auch das ist legitim. Sicher, der Trainingsplan ist dazu da, mich optimal auf das Rennen vorzubereiten. Auch ich werde hin und wieder schwach und denke mir, ich werde ja schließlich nicht dafür bezahlt. Ich laufe für mich und ich trainiere hart dafür, um gut durch das Rennen zu kommen, deshalb versuche ich an diesen Tagen die Balance zu finden aus Trainings-MUSS und Trainings-SOLL. Denn eins weiß ich sicher, wer nicht gut vorbereitet ist, für den kann solch ein Unterfangen schnell mal zur Qual werden. Und in bestimmten Regionen kann man nicht einfach aufhören und ein Taxi rufen- man muss es dann schon mal zumindest bis zum nächsten Checkpoint schaffen.
Can you feel the pain?

Während dem Training auf einen Ultramarathon diskutieren nicht nur Herz und Hirn, zu allem Überfluss mischt hier auch noch der Körper mit. Manchmal gibt dieser schon Signale, einen Gang runter zu schalten oder eine Pause einzulegen, obwohl man selbst voller Kraft und Motivation nur so strotzt. Die Waden machen sich bemerkbar, das Knie sticht immer wieder, der untere Rücken fühlt sich an wie Beton und dann noch diese ständige Müdigkeit. Das schreit einerseits nach mehr Dehnen, öfter Yoga, Krafttraining, Bauchmuskeln stärken etc. Andererseits braucht der Körper auch einfach mal eine Pause. In der Läufersprache nennt sich das „Regeneration“. 😊 Je höher der Trainingsumfang, desto größer die Gefahr von Überbelastung und Verletzungen. Beides kann man in der intensiven Vorbereitung überhaupt nicht brauchen, denn ohne einen gesunden Körper ist schnell Schluss mit lustig oder gar Aus-Der-Traum. Schlussendlich sind Körper und Geist ausschlaggebend für den sportlichen Erfolg! Gibt mein Körper Signale, höre ich auf ihn, und das immer früher und immer besser. Es ist erstaunlich wie sehr man seinen Körper kennenlernt und auch zu schätzen lernt, was dieser im Stande ist zu leisten – wenn er gut mit dem Geist mitspielt!
(K)Ein Rennen gegen die Zeit

Ein weiters Übel ist die Zeit. Die Trainings auf einen Ultramarathon erfordern sehr, sehr viel Zeit. Zeit, die ich mir als berufstätige Mutter oft stehlen muss. Das führt oft dazu, dass ich entweder bis spät in die Nacht noch die liegengebliebene Büroarbeit erledige, Wäschekörbe beseitige, Küche aufräume, damit ich mich um 4:30 Uhr aus dem Bett hantle, um noch eine kurze Trainingseinheit zu absolvieren. Denn um 6:00 Uhr heißt es Tagwache, Buben wecken, Jause richten, ab in die Schule und Arbeit, zwischendrin Mittagessen kochen, Buben zum Training bringen und die „freie Zeit“ fürs eigene Training investieren, wieder Arbeiten. Irgendwann, ganz nebenbei noch der lästige Einkauf, Kundentelefonate, draufkommen, dass der Geschirrspüler den Geist aufgegeben hat oder der Staubsaugerroboter wieder das halbe Lego gefressen hat, ach ja Krafttraining und Yoga, in letzter Sekunde zum Recyclinghof den überquellenden Müll entsorgen und der restliche Alltagswahnsinn. Das Ganze wird oft noch von einem Hauch von Demenz überschattet, wenn ich im Handy entdecke, dass ich meine beste Freundin seit 5 Tagen nicht zurückgerufen habe, Geburtstage vergesse oder erst am Abend draufkomme, dass ich am nächsten Tag für die gesunde Jause in der Schule eingeteilt bin – Shit! Ja ich weiß, andere Mütter können auch ein Lied davon singen. Und zwischendrin- laufen, laufen, laufen, Yoga, laufen, laufen. Zum Trost hat man aber dann doch immer das Datum des Wettkampfs vor Augen, dass mich auf der einen Seite stresst („Nur noch 4 Wochen-wie soll ich das schaffen??“), zum anderen denk ich mir „nur noch 4 Wochen, dann schmeiß ich die Laufschuhe in die Ecke.“ Ich freue mich immer darauf, ein unberührtes Land laufend von allen Facetten für mich zu entdecken, neue verrückte Bekanntschaften zu machen und auf die wohlverdiente und hart erarbeitete „Auszeit“ und schwöre mir jedes Mal- das ist das letzte Mal! Danach laufe ich nie wieder! Oder wie es sich Valentin immer einreden: „Nächstes Jahr- Strandurlaub in Jesolo!“ Hahaha Spätestens bei der Rückreise kommen die ersten Ideen wieder in den Sinn.
Der Schatten des schlechten Gewissens
Die Mütter unter den Lesern, ob laufend oder nicht, kennen es bestimmt auch: das schlechte Gewissen, wenn man aufgrund von Arbeit oder auch Training nicht zu Hause bei den Kindern sein kann und gewisse Dinge momentan einfach hintenanstehen und nachgeholt werden müssen.
Dazu eine kleine Geschichte aus meinem Alltag, die sich erst kürzlich zugetragen hat -
eine ergreifende aber wichtige Erfahrung für mich:

Mein Sohn war mit Fieber und Husten zu Hause. Ich fuhr trotzdem meine Abendrunde, zumindest zu den dringendsten Patienten, da ich ihn für diese 2 Stunden bei Valentin und Großeltern gut versorgt wusste. Wie es sich so ergab, wurde ich als Palliativpflegerin akut zu einem Patienten gerufen, der im Sterben lag. Wenn ein Mensch im Sterben liegt, bleiben die Uhren stehen. Sie gehören voll und ganz dem Patienten und seinen Angehörigen. Für mich ist es jedes Mal etwas ganz Besonderes und ein Privileg, Menschen im Sterben zu begleiten. Dazu gehört auch die Nachsorge, also die Waschung des Verstorbenen, Umziehen, für ein angenehmes Ambiente sorgen, um den Angehörigen den Abschied zu erleichtern. Ich hab noch die Totenbeschau und den Bestatter organisiert und hab gewusst, dass es heute spät wird und mein Sohn mit Fieber zu Hause im Bett liegt. Während der Totenbeschau hab ich kurz zu Hause angerufen und Bescheid gegeben und dann die Stimme meines Sohnes im Telefon: „Mama wann kommst du?“ Für Tränen war kein Platz in dem Moment, aber für die ersten Gewissensbisse allemal und trotzdem bin ich geblieben. Beim Nachhause fahren kamen dann die Tränen und ich fragte mich selbst, ob es richtig war, meinen Sohn so lange warten zu lassen, ob er schon schläft? Mein Sohn war bei meiner Ankunft noch wach, er hat auf mich gewartet. Ich hab mich bei ihm entschuldigt und ihm erklärt, dass „von einer Frau gerade der Papa gestorben ist“, ich dort war, um zu helfen, sie mich gerade dringend brauchten und ich deshalb erst so spät zuhause bin. Mein Sohn, der mich nur zu gut kennt und auch meine Arbeit, hat mich dann fest umarmt und gesagt: „Mama, das versteh ich!“ Er war einfach nur froh, dass ich jetzt da bin, zu Hause. Und ich war erleichtert und einfach nur stolz auf meinen Sohn! Obwohl er durch solche Situationen manchmal auf mich verzichten muss, ob bei durch die Arbeit oder durchs Training, er weiß ganz genau wozu ich das mache.
Es sind vielleicht Werte im Leben, die man keinem einfach beibringen kann, sondern vorleben muss. Zum Beispiel für jemanden da zu sein, der um Hilfe bittet, obwohl man ihn nicht einmal wirklich kennt oder sich für eine Sache einzusetzen, von der man überzeugt ist, dass es die Mühe und den Aufwand wert ist- auch wenn es heißt dafür 250km zu laufen.
Wer uns bei unserer Arbeit unterstützen will, kann sich gerne mit einer Spende zu Gunsten des Pflegevereins Gsund und Lebenswert einbringen.
Weitere Infos zu unserer Pflege sowie dem Charityprojekt WeRunbecauseWeCare findet ihr auf unserer Homepage!
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